Das Zell-Gerlos-Projekt

von Matthias Schündehütte

Ich hatte für dieses Jahr (2003) das „Zell-Gerlos-Projekt“ ausgerufen, ein 160km Dreieck Unterwössen – Zell am See – Gerlos Stausee, um nun endlich mal meinen „Freischwimmer“ zu machen und den Gleitwinkelbereich des Heimatplatzes unwiderruflich zu verlassen. Den Winter über hatte ich Karten studiert, Gleitbereichskreise um Flugplätze und Außenlandewiesen gezeichnet und mich halt so gut ich konnte auf einen solchen Flug vorbereitet.

Fliegen wollte ich das Dreieck am liebsten mit der PW5 oder aber dem Standard Cirrus, meinen beiden Lieblingsflugzeugen an der DASSU. Den Cirrus konnte ich gleich vergessen, er war für den Streckenfluglehrgang reserviert, aber ‚mein‘ PWchen stand wie üblich in der Halle und wurde von niemandem auch nur eines Blickes gewürdigt.
Nur leider nicht am 24.Mai, dem Tag meiner ersten Chance. So mußte ich auf einen Astir CS (Rundnasenrumpf) ausweichen, den ich bis dato erst einmal vor zwei Jahren in einer Platzrunde geflogen hatte… aber egal.

Vormittags bin ich leider wieder „’runtergefallen“. Es ging wirklich nur sehr mäßig, auch die Streckenflieger haben bis zu 2 Stunden in unmittelbarer Platzumgebung herumgebastelt, bevor sie wegkamen. Aber nach der Mittagspause (keine F-Schlepps zwischen 12:30 und 15:00 wg. Lärmschutz) ging es dann sehr gut bei einer Basishöhe von 3200 MSL. Ich hab mich dann auch artig auf den Weg gemacht, aber letztendlich den Absprung doch nicht geschafft. Es ist schon erstaunlich, was mir so im Kopf herumging, als ich mich zum ersten Mal anschickte, diese imaginäre Gleitwinkelgrenze zum Platz zu überschreiten. Es war mittlerweile 16:30 Uhr lokal und „Wie lange geht’s wohl noch?“ war die erste Frage, die mir in den Sinn kam. Zwar gibt es für meine geplante Tour reichlich Flugplätze unterwegs und auch noch einige (dokumentierte) Außenlandewiesen, aber in dem Festfrequenzfunkgerät des Astir war keine der Platzfrequenzen installiert – ein Skandal meines Erachtens. Diese drei, vier Flugplatzfrequenzen (Zell, St. Johann und Kufstein, evtl. noch Innsbruck) müssen einfach in einem streckenflugtauglichen Flugzeug installiert sein! Ja, und so bin ich dann halt doch wieder in der Umgebung geblieben…

Es war aber trotzdem ein Traum – in dieser Höhe die Alpen bis zum Hauptkamm (Großglockner, Großvenediger) vor und unter sich liegen zu haben bei bester Sicht und sehr turbulenzarmer Atmosphäre… wunderbar! Es waren dann doch immerhin 3:35 h Flugzeit und zusätzlich die Erkenntnis, daß der Astir durchaus fliegt, zwar nicht so super-angenehm wie der Cirrus, aber auch enges Kurbeln mit 75-80 ging dank der ruhigen Thermik problemlos. Und schicken kann man den Astir, 130 km/h waren ohne besondere Sinkraten locker drin – ganz im Gegensatz zur PW5, die ganz K6-mäßig bei diesen Geschwindigkeiten schon mächtig zu Boden geht.

Hinterher habe ich mir dann doch Vorwürfe gemacht; es ging natürlich noch locker bis 18:00 und ich wäre bequemst zumindest bis Zell am See und wieder zurück gekommen. „Ja“, dachte ich, „das war jetzt Deine Chance für dieses Jahr gewesen…“. Die folgenden drei Tage waren dann auch wieder wolkenverhangen und gerade eben so für Schulung und Platzrundenbetrieb geeignet. Aber Himmelfahrt wurde es wieder deutlich besser und dann Freitag (30. Mai, vorletzter Urlaubstag) war der Tag des Herrn…

Diesmal saß ich in der PW5, hatte ein vernünftiges Funkgerät und war Zweiter am F-Schlepp. Dieser frühe Start bereitete mir zwar einige Probleme, da die Thermik ja noch nicht voll entwickelt und die Basishöhe so an der unteren Grenze dessen war, was einem Anfänger das Fortkommen ermöglicht – aber es hat schließlich geklappt. Mein bester dortiger Freund, der Grünwald-Sepp, flog mit seinem neuen Ventus 2a mit und hat mir ein bißchen Händchen gehalten – bei einem Tiefpunkt an der Steinplatte war das auch bitter nötig…

Trotz dieses Tiefpunkts war aber gerade der erste Schenkel nach Zell am See für mich der beste: Es begann mit dem Weg vom Rechenberg zur Hörndlwand, den ich durch einen kleinen Südschlenker über den Hochscharten, über dem auch eine Wolke stand, ohne Höhenverlust hinbekommen habe. Das Sehen und Gelingen dieses kleinen Tricks gleich zu Anfang hat mir wichtiges Selbstvertrauen gegeben.

Ich war daraufhin richtig ruhig und konzentriert bei der Sache, wußte immer genau was ich tue und wo im jeweiligen Moment gerade der nächste Flugplatz, die nächste Außenlandewiese ist und dann auch sehr schnell (wenn ich unter der Wolke war), wohin ich als nächstes fliege – ich war über mich selbst erstaunt. Keine Spur von Bedenken oder fehlendem Mut – einfach zielstrebiges Vorgehen.

Da der Sepp erst später hochgekommen war und auch noch einen kleinen Abstecher gen Steinernes Meer, also nach Osten, gemacht hatte, war ich auf meiner Strecke auch meistens alleine vorneweg – trotz PW5 und sehr auf Höhe bedachter Flugweise, was natürlich zu sehr niedrigen Geschwindigkeiten führte. Die Truppe des Streckenfluglehrgangs, die mir am Dürnbachhorn noch die richtigen Stellen hatte zeigen können, war aber im wahrsten Sinne des Wortes über alle Berge…

Meine sehr geringe Geschwindigkeit ist mir dann auf dem nächsten Schenkel (Zell -> Gerlospaß, Pinzgauer Spaziergang) besonders deutlich geworden. Ich fühlte mich wirklich als fliegendes Verkehrshindernis mit meinen 85 km/h. Aber egal, 50 km geradeaus fliegen und dabei eher noch Höhe gewinnen ist schon ein ganz besonderes Erlebnis. Die recht hohe Verkehrsdichte dort empfand ich dabei weniger schlimm – keine kritischen ‚Near Misses‘, was aber wohl auch daran gelegen haben mag, daß ich den optimalen Weg durch die Aufwinde nicht immer gefunden habe. Aber bei einer Basishöhe von 2.700m MSL wurde selbst ich etwas entspannter und auch der Taleinschnitt am Paß Thurn war deshalb nicht weiter bemerkenswert.

Anyway – es lief jedenfalls noch alles ganz gut, als wir uns aufmachten, den Rückweg anzutreten. Sepp in seinem Ventus war natürlich mittlerweile ein ganzes Stück voraus und konnte mich nur noch über Funk beraten. Ich flog also vom Gerlos zurück über den Paß Thurn zum Kitzbühler Horn, immer noch weiter geradeaus. Der Pinzgau trug ja immer noch gut und da die Basis nördlich des Pinzgau doch spürbar tiefer war, mußte ich hier anfangs den Wolken ausweichen und konnte sogar mal richtig Gas geben. Naja, so etwa 100-110 km/h.

Das verschleierte etwas, daß ich mit meiner Konzentration mittlerweile ziemlich am Ende war – inzwischen waren gut 3 Stunden vergangen und schließlich war es ein Flug in für mich völlig neues Gelände mit entsprechend hoher Aufmerksamkeit. Vermutlich hab ich vor Anspannung auch zu wenig getrunken – meine 0,5l-Flasche war jedenfalls noch lange nicht leer.

Das führte dazu, daß ich den Kaiser mit den Loferern verwechselt habe (peinlich, peinlich…) und nach Nordosten statt nach Nordwesten geflogen bin. So kam ich zwar genau an den Platz von St. Johann, aber, da ich den Talwind völlig falsch eingeschätzt hatte, auch ins Lee der dortigen Berge. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich dann auch meinen Biß völlig verloren und war nicht mehr in der Lage, mich hier noch rauszubasteln – der Ehrgeiz und der Thermik-Riecher waren weg und irgendwann wurde der Platz magnetisch – ich bin in St. Johann gelandet. Nach 140 km, 20 km vor Unterwössen, mit schönsten Cummuli am Himmel.

Ehrlich gesagt – ich war gar nicht so enttäuscht! Es war meine erste Landung außerhalb Unterwössen, mit anderer Platzhöhe, mit hoffentlich einigermaßen ordentlicher Funkerei, akzeptabler Platzrunde und anständiger Landung. Die Rückholung war auch kein Problem, Paul (unser neben-vielem-anderen-auch-Schlepp-Pilot) kam mit dem Motorsegler und hat mich das letzte Stück nach Hause geschleppt.

Ja, das war mein Zell-Gerlos-Projekt. Nicht ganz 100%ig geschafft, aber meinen „Freischwimmer“ hab ich wohl – und ’ne Menge gelernt. Die Strecke bin ich nicht das letzte Mal geflogen und beim nächsten Versuch klappt’s ja dann vieleicht auch mal ganz rum.

Auffällig für mich war der sehr starke Abfall der Konzentrationsfähigkeit nach etwa 3 – 3,5 h, was sich auch schon bei vorherigen Flügen bei mir so gezeigt hat. Ich hoffe ja, daß sich das, wenn alles nicht mehr ganz so neu und aufregend ist, langsam nach hinten verschiebt.

Jedenfalls: Schee war’s!

(Anmerkung der Besserwisser von Schlechtflieger: ich habe dieses Konzentrationsloch auch regelmässig nach drei Stunden Flugzeit für etwa eine halbe Stunde – daran hat sich die letzten zwei Jahre nichts Wesentliches geändert. Angeblich ist dieses Phänomen sogar sportphysiologisch nachgewiesen. Die Hoffnung, dass sich das Turboloch mit der Zeit nach hinten verschiebt, wird sich also möglicherweise nicht erfüllen – wohl aber die, dass die Folgen des Durchhängers mit zunehmender Erfahrung besser zu meistern sind. Bis dahin hat es sich bei mir bewährt, viel zu trinken und ganz bewusst nach knapp drei Stunden für etwa eine Dreiviertelstunde einen Gang zurückzuschalten, hoch zu bleiben und so zu vermeiden versuchen, dass eine etwas anstrengendere Situation zeitlich mit dem Konzentrations-Loch zusammenfällt – Jan)